Geständnis eines Mörders
Es war am letzten Tag des Jahres 20.., als ich meine Frau ins Jenseits beförderte. Während des Feuerwerks vergrub ich sie in meinem Garten unterm Dornbusch. Welch eine Befriedigung war es, sie dort in Sicherheit zu wissen, gut verpackt und fest verschnürt in einem blauen Plastiksack! Nun fühlte ich mich endlich frei, so frei wie lange nicht, genauer gesagt, wie nicht mehr seit dem Tag, als ich sie kennengelernt hatte. Nein, schön war sie nie gewesen, auch nicht sonderlich nett, häuslich oder ordentlich und schon gar nicht intelligent. Von Anfang an rief unsere Beziehung allseits nichts als Kopfschütteln hervor. Besonders über mich wunderte sich jeder. Warum war meine Wahl gerade auf sie gefallen? Das fragte sich die ganze Stadt.
Die Wahrheit ist: Ich hatte mich in ihr Lachen verliebt! Dieses tiefe Lachen, herzhaft und inbrünstig, das sich so wohltuend vom albernen, hohlen Gekicher der anderen Frauen unterschied. Es wurde im Bauch geboren, kroch durch ihren Körper und gluckste in der Kehle, bis es durch den Mund ausbrach. Dann erzitterte der Boden, das Geschirr klirrte auf der Anrichte, die Blumen tanzten auf der Wiese, die Vögel jubilierten auf den Zweigen. Und wie sie jeden damit ansteckte, der in ihre Nähe kam! Ihr Lachen durchdrang die Welt wie eine unerforschte, allgegenwärtige Energie und es schlug mich in Bann! Nur deshalb suchte ich ihre Gesellschaft, nur deshalb forderte ich sie zum Tanz auf, nur deshalb lud ich sie ins Kino, ins Restaurant und schließlich in mein Haus im Süden ein, wo ich um ihre Hand anhielt. Ungläubig hatte sie mich damals angesehen, halb mitleidig, halb spöttisch.
Verflucht sei der Tag, als ich ihr den Ring vor aller Augen ansteckte - im Beisein meiner erstaunten Bekannten, meiner verwirrten Freunde, meiner entsetzten Familie! Dann brachte ich sie auf mein Anwesen, wo ihr Lachen die frisch verputzten Wände des Hauses beben ließ und die knorrigen Bäume auf dem Grund verbog. Mir hätte klar sein müssen, dass diese sonoren Töne in den hohen Hallen innerhalb der alten Mauern meines Herrensitzes einen Klang erzeugten, der sich zwangsläufig fortpflanzte vom Ostflügel bis zum Westflügel, vom Kellergewölbe bis hinauf ins Dachgeschoss. Die Schallwellen durchbrachen sämtliche Wände und gebaren Echos in jedem weiteren Zimmer. Auch wenn sie mit der Zeit abebbten, so erstarben sie doch nie ganz. Sie warteten bloß auf das nächste Gelächter, um nachher umso stärker durch das Haus schwingen zu können. Jedes Lachen, jeder einzelne Laut machte das Gebäude ein bisschen unordentlicher und wilder, unruhiger und unsicherer. Die Wände bekamen feine Risse, der Boden spürbare Dellen. Sprach ich meine Frau aber darauf an, dann lachte sie nur noch mehr und meinte, das bildete ich mir bloß ein. Als ich meine Freunde durch meine Heimstatt führte, um eine Bestätigung dieser Beobachtungen zu erfahren, da lachten sie mit ihr - über mich. Nirgendwo seien Risse oder Dellen, sagten sie. Ha! Haben die keine Augen im Kopf? Ich sah es ja ganz deutlich! Es ließ sich gar nicht leugnen. Ich hörte jenes Geräusch, das lauter und lauter wurde, das Haus nervös und empfindlich machte und sich wie ein zitternder Mantel aus Tönen um die Mauern legte. Von Tag zu Tag schwoll es an, wurde eindringlicher, wurde unerträglich, verursachte mir regelrechte Schmerzen. Durch jedes Lachen verstärkte es sich, und meine Frau lachte immer öfter, zunehmend länger und in höherer Tonlage - reiner und heller, gellend, quiekend, schrill und pfeifend, bis es nur noch ein Ächzen, ein rhythmisches Knacken war; denn zu hoch wurden die Töne, die sie ausstieß, zu hoch für die Sinneswahrnehmung eines gesunden Menschen, zu hoch für meine Ohren. Trotzdem spürte ich, wie sich der Schall unnatürlich langsam durch die Räume bewegte, bedrohlich in meinem Gehörgang knisternd, meinen schwachen Magen reizend, all meine Glieder lähmend. Dieses Lachen hätte mich getötet oder zumindest in den Wahnsinn getrieben, wenn es mir nicht gelungen wäre, es vorher abzustellen!
Hilfe war von niemandem zu erwarten. Alle weigerten sie sich, zu erkennen, was für ein Wesen meine Frau war: kein Weib von Fleisch und Blut, kein Kind menschlicher Eltern, kein vernunftbegabtes Geschöpf, das Mitleid und Achtung hat, sondern eine böse Teufelin, die durch ihr gefährliches Gelächter erst mein Leben zerstören und mein zinnenbewehrtes Haus sprengen und danach die ganze Welt in ein töricht gackerndes Chaos stürzen würde. Ich war der Mann, dies zu verhindern, und am 29. Dezember des vergangenen Jahres war die Stunde gekommen. Ganz schnell sollte alles vonstattengehen. Nein, wehtun wollte ich ihr nicht. Schließlich hatte ich sie ja mal geliebt, und auch dieses Lachen, das ich nun so hasste, war mir einst süß erschienen und hatte mich verzaubert. Also schlich ich mich in ihr Zimmer, öffnete ihr Nachtschränkchen und tauschte ihre Schlaftabletten gegen ein wirksames Gift aus. (Wie gut, dass ich als Apotheker Zugang zu derlei Mitteln hatte!)
Als ich meiner Frau am übernächsten Tag frühmorgens den Tee servieren wollte, lag sie bleich und schlaff in den Kissen. Ich ließ mich auf der Bettkante nieder und betrachtete mein Werk. Ein sauberer Mord. Sie war einfach so entschlafen, ohne einen Schmerz zu verspüren, ohne Wehmut oder Angst, ohne zu wissen, dass der Tod auf sie lauerte. Wie leicht war mir plötzlich ums Herz! Dafür verantwortlich war aber nicht allein die Genugtuung, die Welt vor diesem Etwas gerettet zu haben; es war auch mein Haus, das mir den Frieden zurückgab, indem es mir eine fast vergessene Ruhe bescherte. Ich fühlte mich kräftig und befreit, denn die Echos waren verklungen, der Schall war verhallt und ihr knarrendes Lachen für immer und ewig aus den Mauern vertrieben. Jetzt, da ich sie besiegt hatte, hegte ich keinen Groll mehr gegen sie. Sie konnte ja nichts dafür, dass sie schädlich gewesen war. Fürsorglich packte ich sie in diesen blauen Plastiksack, und als es Mitternacht wurde und die Einwohner der Stadt sich zum großen Feuerwerk auf dem Marktplatz versammelten, bereitete ich ihr ein schattiges Grab unterm Dornbusch.
Eine Weile lief alles nach Plan. Weder die Nachbarn noch meine Freunde schienen meine Frau besonders zu vermissen. Nur ein einziges Mal fragten sie nach ihr, und sie gaben sich gleich zufrieden, als ich ihnen erklärte, sie sei auf unbestimmte Zeit zu ihrer Familie nach Kanada gereist. Es machte niemanden misstrauisch, dass sie in all den Monaten zuvor kein Sterbenswörtchen von Verwandten in Übersee gesagt hatte. Nicht einer wurde stutzig, nicht einer forschte nach. Ich kann mich nicht entsinnen, dass jemals ein Mensch so schnell vergessen war wie sie. Für mich war dies natürlich bloß von Vorteil und ich wiegte mich in Sicherheit - bis zu jenem lauen Frühlingstag im nächsten Mai, als ich seltsame Geräusche vernahm, die aus dem Garten meines Anwesens in das Haus drangen. Sie waren mir nur allzu bekannt, so dass mir vor Schreck ein Buch entglitt, welches ich mir soeben aus meiner Bibliothek geholt hatte. Diese glucksenden Laute erinnerten mich an das entsetzliche Lachen meiner Frau - doch die lag ja tot unterm Dornbusch!
Dem Wahnsinn nahe rannte ich hinaus in den Park und folgte den Tönen. Zu meinem Schrecken musste ich erkennen, dass sie mich geradewegs zu dem anonymen Grab führten. Aber stammten sie denn tatsächlich aus unterirdischen Gefilden? Meine Frau war tot! Tot! Und das grässliche Lachen war mit ihr gestorben, oder etwa nicht? Ängstlich sah ich mich um, wendete den Kopf nach allen Seiten. Hoffentlich hatte keiner es gehört und keiner mich hier bei jenem Strauch verweilen und auf die Erde starren sehen! Diese Überlegungen lenkten meinen Blick auf ein eigenartiges Insekt - einen blassblauen Falter, der sich zwischen den Zweigen tummelte. Die Farbe seiner Flügel war so wässrig blau, dass es mich eiskalt überlief. Diese Schattierung kannte ich nur von den Augen meiner Frau. Ein so helles, grünliches, fast durchsichtiges Blau kommt in der Natur allein bei kränklichen Wesen vor. Das flatternde Ding war mir unheimlich, vertraut und dennoch zuwider. Damals dachte ich, dass ich es besser töten sollte, wenn es nicht von selbst verschwinde.
Ach, hätte ich den Schmetterling doch an jenem Tag zermalmt - und wenn ich die bloßen Hände benutzt hätte! Aber nein! Zu sehr lagen meine Nerven blank durch die Erinnerung an meine Tat, das Verbrechen, das meine Seele befleckt und mich verdorben hatte. Mitleid fühlte ich mit dem zappelnden, geflügelten Wurm und ich genoss es! Ich war ja noch zu Empfindungen fähig, nicht gänzlich abgestumpft durch diesen Mord. Also ließ ich den Schmetterling leben. Von Grausen erfasst sah ich ihn an, als er sich auf meine Schulter setzte. Hatte ich nur den Eindruck, dass er mich anstarrte, oder tat er es in seiner tierischen Einfalt wirklich? Mit der Hand versuchte ich ihn zu verscheuchen, erst sacht, dann durch wildes Fuchteln. Vergebens! Er saß da wie angeklebt und war durch nichts zu vertreiben. Keine Bewegung ließ ihn erzittern, kein Windstoß, kein Rütteln. Ich konnte ihn nicht einmal abstreifen. Als ich aber mit der flachen Hand nach ihm schlug, schoss er blitzschnell davon und platzierte sich keck auf meiner Nasenspitze. Und nun hörte ich wieder die Geräusche - das Glucksen, das Ächzen, das Knacken. Die widerlichen Töne entschlüpften seinem aufreizend langsamen Flügelschlag. Klipp, klapp! Klipp, klapp!
Ich rannte in mein Haus, doch er flatterte hinterdrein. Wo immer ich fortan hinging, er folgte mir. Er ließ sich selbstherrlich auf meinem Kopfkissen nieder, nippte gierig von meinem Tee und tänzelte frech auf dem Tassenrand. Er segelte über meinen Teller, hockte auf meinem Kopf oder meinen Ohren. - Hatte sie ihn geschickt? Hatten sich ihre ekelhaft blassblauen Augen in einen Schmetterling verwandelt? War dieser Falter etwa ihre Seele oder gar die Manifestation meines schlechten Gewissens? Ich wusste es nicht. Jedenfalls hielt mich seine schauderhafte Farbe stets davon ab, ihn ernstlich zu jagen. Ich wollte ihn los sein. Sicher! Doch wollte ich ihn vernichten? Er ist eine Plage, ein Folterwerkzeug, ein ständiger Begleiter, ein lauernd verharrender, ungebetener Gast, aber auch ein Gefährte und mittlerweile der einzige, der mir geblieben ist. Alle haben sich von mir zurückgezogen und belächeln mich. Er jedoch ist immer bei mir, stellt keine Fragen, späht bloß ein bisschen spöttisch zu mir herüber und klappert mit den Flügeln. Klipp, klapp! Klipp, klapp!
Keiner außer mir hört die Geräusche draußen im Garten - das Ächzen, das Knacken, das Glucksen. Allmählich aber werden die Laute deutlicher und tiefer. Mehr und mehr gleichen sie dem Lachen meiner toten Frau. Das macht mir Angst. Jede Nacht liege ich wach und halte mir die Ohren zu. Die Apotheke habe ich geschlossen, denn ich bin nicht fähig zu arbeiten. Kein Gespräch kann ich führen, kaum den Einkauf tätigen. Auf Schritt und Tritt folgt es mir. Überall, wohin ich auch gehe, begleiten mich das kehlige Glucksen und der knackende Flügelschlag des Falters. Es ist wirklich unerträglich, wie hässlich er mich anstarrt, wie scheel er mich mustert, wie hinterhältig seine Fühler nach mir tasten. Dieses düstere, widerwärtige Tier nagt an meiner Seele. Die fliegenden Augen meiner Frau und die Ton gewordene Erinnerung an ihr bald hohles, bald gutturales Gelächter bringen mich um den Verstand.
Und nun, meine Herren, behaupten Sie allen Ernstes, meine Nachbarn hätten gestern das heulende Lachen meiner Frau gehört. O nein! Das ist ein Irrtum. Meine Frau gibt schon lange keinen Laut mehr von sich und sie wird es nie wieder tun. Was die Leute nebenan vernahmen, war etwas völlig anderes. Dieses verfluchte Lachen - der Flügelschlag des Falters hat es erschaffen!
Welch jammervolles Ende! Einen ganz und gar sinnlosen Mord habe ich begangen, denn meine Frau war für das böse Lachen bloß ein gefügiges Werkzeug. Aber ich habe Vorsorge getroffen und lasse es nicht noch einmal entkommen. Sehen Sie, wie langsam der Schmetterling fliegt? Er hat von meinem Tee genippt und stirbt in Kürze - genau wie ich. Es war schon Gift in diesem Tee, als ich Sie eingelassen habe. Ich spüre bereits, wie es zu wirken beginnt. Du blassblaues Ding, heb dich weg von meiner Schulter! Bald werden deine Flügel erlahmen. -
Jetzt liegt der Falter tot auf dem Fensterbrett. Und das Lachen? Es ist fort, ist mit ihm entschwunden, hat sich zurückgezogen in die entfernten Gefilde, aus denen es stammt, in Gegenden, wo es als etwas Schreckliches und Beängstigendes gilt, in Gebiete, wo niemand lacht, der bei Verstand ist. Hier kehrt endlich wieder Ruhe ein. Begreifen Sie doch, dass ich es aus der Welt schaffen musste! Ich konnte nicht länger lebendig und gefangen sein - lieber bin ich tot, aber frei!
Albert Sullivan
Herrensitz der Sullivans in N..., 20.10.20..
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