Man kann nicht alles, was in der Presse steht, für bare Münze nehmen. Manche Geschichten sind wahr, andere ziemlich aufgebauscht oder sogar frei erfunden. Die folgende Erzählung beschreibt auf einfache Weise, was passiert, wenn die Leserschaft einem Zeitungsbericht allzu bereitwillig Glauben schenkt. Dazu bedarf es nur eines liederlich geführten Revolverblatts, einer heißen, aber unausgegorenen Story, eines Wissenschaftlers, der sich einer Verschwörung ausgesetzt sieht, und zweier verantwortungsloser, übereifriger Reporter ...
Das auflagenstarke Boulevardmagazin XYZ News veröffentlichte windige Neuigkeiten, verbreitete haltlose Gerüchte, machte stets viel Lärm um nichts. Die Leser kümmerte das wenig. Sie liebten diese Zeitung, weil sie jedes Thema aufgriff, außerdem mit Preisausschreiben lockte und obendrein spottbillig war.
Ian Callahan, der Boss, druckte alles unbesehen, denn er war dem Alkohol verfallen und den ganzen Tag betrunken. Bereits frühmorgens zitterten seine Hände; dann zwitscherte er den ersten Schnaps. Dem folgten viele weitere Schnäpse und zwischendurch zündete er sich die eine oder andere Zigarette an. Mal sang er, mal heulte er, mal schrie er. Ab und an ging irgendein Möbelstück zu Bruch. Die ganze Arbeit wälzte er auf seine Angestellten ab, und wenn er seine Vorzimmerdame rief, verlangte er bloß Nachschub an Alkoholika.
Anna Ashby, die besagte Sekretärin, war die Seele des Hauses. Sie lenkte die Geschicke des Presseunternehmens im Verborgenen. Ihr Alter lag wohl um die fünfzig und in den letzten zehn Jahren hatte sie sich kein bisschen verändert. Sie hatte eine sorgfältig gelockte Kaltwelle in Dunkelblond, ihr blasses, spitzes Gesicht wurde durch eine grobe Brille mit braunem Rand verunstaltet und eine große Warze auf der linken Wange zierte ihr sonst eher langweiliges Antlitz. Anna war emsig und stets bemüht, ihren Chef bei Laune zu halten. Sein unzumutbares Verhalten betrachtete sie seit langem nur mehr mit Kopfschütteln. Immerhin war Callahan der Eigentümer dieses Unternehmens – da konnte er sich aufführen, wie es ihm beliebte.
Ian Callahan, Spiritus Rector des Verlages, war einst ein fähiger Kopf gewesen. Er hatte die XYZ News aus dem Boden gestampft und somit ein bedeutendes Medienorgan quasi aus dem Nichts erschaffen. Doch der frühe Tod seiner geliebten Frau hatte ihn zermürbt. Seither ertränkte er seinen Kummer in Alkohol und ließ die Zügel schleifen. Seine Wohnung, die zusehends verkam, schottete er ab wie eine Festung. Im Großen und Ganzen machte er einen verlotterten Eindruck und war bloß noch ein Schatten seiner selbst. Er interessierte sich kaum mehr für das, was um ihn herum geschah. Sogar sein Lebenswerk, die XYZ News, schien ihm egal zu sein. Wer ihn sprechen wollte, der musste sich schon eine Woche vorher anmelden. Meist hatte er zum Anliegen seines Gegenübers dann aber auch nicht viel zu sagen. Man wunderte sich, dass er überhaupt noch ins Büro ging. Und ob Sie es glauben oder nicht, es gab Mitarbeiter, die ihren Chef niemals sahen.
Ich werde Ihnen, mein lieber Leser, Ian Callahan gar nicht erst beschreiben. Betrachten Sie ihn einfach als eine Art launischen Gott dieser Zeitung, als einen Geist, der in dem alten Gemäuer umging, ein sagenumwobenes Phantom, das über allem herrschte und dennoch unsichtbar blieb.
Peggy Park und Clive Clifford waren die wahren Helden der XYZ News. Die beiden umtriebigen Journalisten arbeiteten seit Jahren für diese Zeitung. Sie schrieben lausige Geschichten für ein lumpiges Gehalt, waren adrett und verschuldet, aufstrebend und skrupellos, gut aussehend und geltungssüchtig. Sie befanden sich stets am Puls der Zeit und lebten über ihre Verhältnisse. Peggy wirkte wie eines dieser dünnen blonden Models. Vom Stupsnäschen bis zum operativ vergrößerten Busen war alles mehr oder weniger künstlich. Clives Äußeres ließ zu seinem Glück von Natur aus nichts zu wünschen übrig. Allerdings beschäftigte er für die Auswahl seiner Kleidung einen Modeberater, und böse Zungen behaupteten überdies, er sei Stammkunde in einem Sonnenstudio, einem Fitnesscenter und einer Herren-Beauty-Farm.
Stets auf der Jagd nach der Story ihres Lebens, gingen Peggy und Clive auch so manchem Spinner auf den Leim. Wenngleich ihre reißerischen Artikel das Blatt arg in Verruf brachten, machten sie es doch zum führenden Boulevardmagazin. Zudem scheuten die zwei kein Mittel, um Beweise für ihre Berichte zu beschaffen. Hin und wieder begingen sie Hausfriedensbruch, verwanzten Wohnungen und knackten Safes. Leider recherchierten sie nicht immer so gründlich, weshalb etliche vermeintliche Sensationsmeldungen letztendlich einfach verpufften.
Hatte man aber gestern noch über ihre schlampigen Ermittlungen die Nase gerümpft, sie unbegabt und ungeeignet gescholten, hämisch über sie gelästert und sich aus Schadenfreude vor Lachen den Bauch gehalten, so warteten sie schon heute mit einer weiteren haarsträubenden Geschichte auf, die den letzten Fehlschlag vergessen machte und die Gemüter aufs Neue erhitzte. Demzufolge ging es mit ihrer beider Karriere pausenlos bergauf und bergab. Symptomatisch war dies auch für die ganze Zeitung: einmal hochgelobt, ein andermal verrissen. Kein Abgrund konnte tief genug sein, um die XYZ News für immer zu verschlucken. Je bitterer die vorangegangene Schmach, desto süßer das darauf folgende Comeback.
* * *
Heute war wieder ein schwarzer Tag. Ian Callahan hatte Peggy und Clive zu einer Unterredung in sein Büro bestellt – das verhieß nichts Gutes. Das Herz hämmerte ihnen vor Aufregung, als sie das Arbeitszimmer des Alten betraten. Der machte sich dann auch schnell mit einem Rundumschlag Luft. Ohne mit der Wimper zu zucken, warf er ihnen Stümperei und Einfalt sowie Faulheit und Unfähigkeit vor. Er meinte abschließend, durch die letzte Pleite, diesen totalen Reinfall, seien sie nun endgültig auf dem Tiefpunkt angekommen und hätten zweifelsfrei auf der ganzen Linie versagt. Dennoch verlief die Sache eher glimpflich. Der Chef hatte wohl bereits am frühen Morgen einige Schnäpse gekippt; das stimmte ihn etwas versöhnlicher. Deshalb entließ er sie mit barschen Worten, bedeutete ihnen aber zugleich, dass sie einfach weitermachen sollten nach dem ehernen Gesetz der XYZ News: neue Story, neues Glück.
Zurück in ihrem Büro, atmeten Peggy und Clive erst einmal auf. Clive kämmte sein welliges braunes Haar, zupfte an seinem dunklen Schnurrbart und rückte die Krawatte zurecht. Peggy frisierte sich, prüfte den korrekten Sitz des Miniröckchens und zog die Lippen nach. Der Tag war gerettet! Die Aussprache mit dem grimmigen Callahan war überstanden, sie hatten noch immer ihren Job und die nächste Story würde ihnen gewiss bald zufliegen.
* * *
Einige Tage später stand Peggy und Clive eine neue Aufgabe ins Haus. Professor Guy Fox, einer der führenden Astrophysiker des Landes, hatte seinen Besuch angekündigt. Am Telefon hatte er sich über den Grund seines Kommens geheimnisvoll ausgeschwiegen. Demzufolge versprach die Angelegenheit wirklich interessant zu werden. Sicher hatte der Wissenschaftler eine brisante Information, und es bedurfte einer wagemutigen Zeitung wie der XYZ News, diese Neuigkeit zu verbreiten. Peggy und Clive wurden daher auch von Ian Callahan persönlich beauftragt, sich um den hohen Gast zu kümmern, und die zwei journalistischen Tiefflieger witterten natürlich die Chance ihres Lebens.
Als Professor Guy Fox fest entschlossen das Bürohaus der XYZ News betrat, geleiteten ihn die Lakaien des Mr Callahan höflich in die Redaktion.
»Guten Tag, Professor Fox!«, begrüßte Peggy den Besucher, nahm ihm fürsorglich den Mantel ab und bot ihm einen Platz an. Auf dem Tisch dampfte schon eine heiße, duftende Tasse Tee. »Mein Name ist Peggy Park und das ist mein Kollege Clive Clifford«, stellte sie sich vor.
»Nennen Sie mich einfach nur Mr Fox«, bat der Astrophysiker. »Auch mein akademischer Grad hat mich in letzter Zeit nicht vor Anfeindungen geschützt.«
Die beiden Reporter sahen einander verblüfft an. Alle Leute, die sie bisher kennengelernt hatten, waren auf ihre Titel ziemlich stolz gewesen. Guy Fox schien also ein außergewöhnlicher Mann zu sein.
Der Professor wirkte ausgemergelt, gehetzt und völlig übernächtigt. Misstrauisch blickte er sich um, tastete sogleich gekonnt die Unterseite des Schreibpultes ab und sprang dann mit einem Satz auf den Tisch, um die Lampen an der Zimmerdecke zu überprüfen. Danach schraubte er ohne Erlaubnis einfach die Telefone auf und wieder zu, suchte sämtliche Regale nach Wanzen und Minikameras ab und ließ dabei nicht mal die Rücken der Aktenordner aus.
»Mr Fox, hier gibt es keine Abhörgeräte!«, beschwichtigte Clive den unverschämten Wissenschaftler, der sich anscheinend von irgendwem verfolgt fühlte.
Fox glaubte den Reportern aber kein Wort und hielt nicht eher inne, als bis er den ganzen Laden auf den Kopf gestellt hatte.
»Meine Lage ist äußerst schwierig«, entschuldigte er sich für sein dreistes Verhalten. »Wenn gewisse einflussreiche Leute davon erfahren, dass ich die Presse eingeschaltet habe, bin ich geliefert.«
Beruhigt schlürfte Fox erst mal seinen Tee. Auch Peggy und Clive nippten an ihren Tassen. Sie betrachteten den seltsamen Professor eingehend. Seine Statur war groß und mager. Sein aschblondes, meliertes Haar hing schlapp herab, die Mundwinkel zeigten enttäuscht nach unten. Die hellgrauen Augen blickten trübe und mutlos. Fox sah müde aus und wirkte tieftraurig. Irgendetwas quälte ihn. Schließlich fing er an, von seinem Bittgang in die vielen Redaktionen der Stadt zu berichten.
»Keiner will die Wahrheit hören und niemand ist bereit, sie zu drucken«, klagte er. »Sie sind meine letzte Hoffnung.«
»Uns ist keine Story zu heiß«, munterte Clive den Professor auf. »Die anderen Zeitungen mögen zu feige sein, doch die XYZ News bringt alles, was für die Öffentlichkeit von Belang ist. Dafür sind wir ja bekannt!«
Die Unsicherheit war aus den grauen Augen des Guy Fox gewichen. Er begann zu erzählen.
»Wie Sie wissen, bin ich Astrophysiker. Meine Aufgabe am Observatorium besteht darin, astronomische Messdaten auszuwerten. Wir kartographieren das Weltall, spüren neue Sterne und Galaxien auf, entdecken Pulsare, sind auf der Suche nach Planeten außerhalb unseres Sonnensystems ...«
Fox merkte schnell, dass das Interesse der Sensationsreporter abebbte. Es war nicht zu übersehen, dass er die beiden nicht nur langweilte, sondern auch überforderte, denn als er anhob, von Schwarzen Löchern und fernen Röntgenquellen, Supernovae und planetarischen Nebeln zu berichten, verstanden die zwei gar nichts mehr. Astronomie war für sie schon immer ein Buch mit sieben Siegeln gewesen. Sie kannten nicht den Unterschied zwischen Weißen und Braunen Zwergen, und von einer Hintergrundstrahlung im Weltraum hörten sie das erste Mal.
»Ich möchte nun zum eigentlichen Grund meines Besuches kommen«, versprach der Professor, denn es wurde ihm klar, dass es den Journalisten mehr um die Story selbst als um wissenschaftliche Zusammenhänge ging. »Drei Monate ist es jetzt her, dass ich erstmals jene Signale aus dem All auffing. Ich entdeckte sie eher zufällig und glaube, dass sie unsere Erde noch nicht sehr lange erreichen. Ich machte mich sofort daran, sie zu analysieren und zu decodieren, wobei mir das Letztere leider nicht gelang. Es scheint aber, als würde von einer Radioquelle im Sternbild Schwan ein periodisch wiederkehrendes Radiowellensignal ausgesendet. Ich bin mir sicher, man übermittelt uns eine Botschaft.«
»Man? Wer ist das? Wen meinen Sie?«, stieß Clive aufgeschreckt hervor.
»Ich möchte auch gern wissen, wer sie sind, Mr Clifford«, entgegnete Fox, »und vor allen Dingen, welche Absichten sie hegen.«
Peggy und Clive waren unangenehm überrascht. Hatten sie das richtig verstanden? Redete der Professor etwa vom ersten handfesten Beweis für die Existenz einer außerirdischen Zivilisation?
»Seit dieser Zeit beschäftige ich mich mit nichts anderem mehr«, fuhr der Wissenschaftler fort. »Tag und Nacht versuche ich, die Botschaft zu entschlüsseln, doch es will mir nicht gelingen. Ich kann das Signal nicht decodieren. Trotzdem mache ich jede Wette, dass es von intelligenten Wesen gesendet wird und unmöglich natürlichen Ursprungs sein kann.« Verzweifelt verbarg Professor Guy Fox sein Gesicht in den Händen.
»Warum kommen Sie nun mit diesem Problem ausgerechnet zu uns?« Peggy flüsterte fast, aus Angst, belauscht zu werden. Diese Nachricht war unglaublich und von so großer Tragweite, dass ihr schier die Luft wegblieb.
»Wir haben alles ordnungsgemäß weitergeleitet, Ms Park«, erläuterte Fox verbittert. »Mein Chef, Direktor Peterson, setzte sich mit der Regierung in Verbindung, um Forschungsgelder für die Dechiffrierung dieser Signale zu beantragen. Doch statt Hilfe bekamen wir Redeverbot. Sie machten uns mundtot, forderten uns auf, die Arbeit an der Sache einzustellen, gaben uns zeitraubende Aufträge mit oberster Priorität. Ich glaube, sie wollten nur unsere eigentliche Forschung zum Erliegen bringen und die Sache selbst in die Hand nehmen, um Vorkehrungen zu treffen, von denen wir nichts wissen durften. Ich als Entdecker dieser Signale war jedoch außerstande, das alles einfach so auf sich beruhen zu lassen. Fortan verbrachte ich sogar meine Freizeit im Observatorium und gönnte mir keine Pause. Zu guter Letzt kontaktierte ich Freunde, denen man vertrauen kann, und bat sie, mir bei der Entschlüsselung der Botschaft zu helfen. Es stellte sich aber heraus, dass auch die leistungsfähigsten Computer und die genialsten Köpfe dieser Welt nicht in der Lage sind, den komplexen Code zu knacken. Als Peterson unglücklicherweise von meinen eigenmächtigen Bemühungen erfuhr, entließ er mich fristlos. Seither folgen mir Geheimagenten rund um die Uhr und beobachten mich auf Schritt und Tritt. - Zwanzig Jahre lang bin ich am Observatorium tätig gewesen, habe mein ganzes Leben der Wissenschaft gewidmet, und jetzt?«
»Wollen Sie damit sagen, dass etwas vertuscht wird?« Clive mochte es kaum glauben.
»Zumindest hat unsere Regierung kein Interesse daran, dass die Öffentlichkeit von jenen Signalen erfährt.« Fox war aufgewühlt, doch erleichtert. Endlich hatte er zwei Menschen gefunden, die ihn ernst nahmen.
Peggy und Clive zündeten sich beide eine Zigarette an. Fox lehnte dankend ab.
»Egal, ob es sich hier um eine Bedrohung durch Außerirdische oder um einen Sturm im Wasserglas handelt - wir bringen die Story«, entschied Clive kurzerhand.
»Schließlich haben die Leute ein Recht auf Information«, fügte Peggy hinzu.
Für die XYZ News war die Geschichte ein gefundenes Fressen. Die Leser würden sich die Exemplare der morgigen Ausgabe mit Sicherheit gegenseitig aus den Händen reißen. Ein Hauch von Weltuntergang mit etwas Science-Fiction, eine Prise Regierungsverschwörung und die geheimdienstliche Überwachung eines unbescholtenen Bürgers, der ohnehin bloß noch ein Wrack war – das würde bestimmt wieder einen riesigen Wirbel verursachen.
In der Tat war die XYZ News am nächsten Tag bereits nach wenigen Stunden ausverkauft. Die Kunde von der extraterrestrischen Botschaft verbreitete sich deshalb wie ein Lauffeuer. Der größte Teil der Bevölkerung wusste von dem mysteriösen Geschehen im Weltall jedoch allein vom Hörensagen. So wurde aus dem codierten Signal schnell eine längst entschlüsselte, aber ausschließlich der Regierung bekannte Nachricht. Die unerforschte Radioquelle entlarvte der verängstigte Bürger als ein unentdecktes, im Orbit kreisendes Raumschiff. Und noch am selben Abend befürchtete ein jeder im ganzen Land, dass die Außerirdischen - wer sie auch waren und wo immer sie herkommen mochten - eine Invasion planten, irgendwo da draußen in den Startlöchern saßen und nur auf den günstigsten Zeitpunkt für einen Angriff warteten.
* * *
Als Peggy am gleichen Nachmittag ihre Putzfrau einließ, betrat diese völlig verstört die herrschaftliche Wohnung der Journalistin.
»Was ist mit Ihnen los?«, erkundigte sich Peggy besorgt, denn Mrs Hill war normalerweise eine lebensfrohe, stets gut gelaunte Person. »Ist irgendetwas Schlimmes passiert?«
Mrs Hill brachte vor Aufregung kein Wort hervor. Peggy platzierte sie daher erst mal in einen großen Sessel.
»Ist Ihnen etwas zugestoßen? Hat man Sie beraubt? Ist jemand in Ihrer Familie erkrankt?«, bohrte sie weiter. »So reden Sie endlich, Mrs Hill!«, forderte sie nun energisch.
»Bald ist alles vorbei. Da fragen Sie noch, was mit mir los ist!«, antwortete die Putzfrau verzweifelt.
Peggy verstand aber nicht, was sie dermaßen beschäftigte und betrübte.
»Sie sind doch Reporterin, Ms Park! Sie müssen schließlich von der bevorstehenden Invasion wissen.«
»Invasion? Was für eine Invasion?« Während Peggy diese Worte über die Lippen kamen, stieg ein dunkler Verdacht in ihr auf.
»Die Invasion der Außerirdischen natürlich!«, rief Mrs Hill verärgert. »Meine Nachbarin hat es heute in Ihrer Zeitung gelesen.«
»Erstens ist es nicht meine Zeitung und zweitens steht nichts Derartiges in unserem Blatt«, stellte Peggy richtig. »Es handelt sich hier offenbar um ein Missverständnis. Es gibt nur wiederkehrende Radiowellensignale. Professor Guy Fox glaubt, es sei eine Botschaft, hat aber keinerlei Beweise dafür. Nirgends ist ein Raumschiff gesichtet worden. Und selbst wenn eine intelligente Spezies mit uns Kontakt aufnehmen will! Warum sollten sie feindliche Absichten haben? Warum sollten sie angreifen oder unseren Planeten gar besetzen? Vielleicht brauchen sie ja einen ganz anderen Lebensraum, als die Erde ihn bieten kann. Vielleicht reisen sie auch nicht gerne und haben gar nicht vor, uns zu besuchen. Es gibt so viele Möglichkeiten, dass es mir wenig sinnvoll erscheint, über eine Invasion nachzudenken.«
Peggy tat wirklich alles, um Mrs Hill zu besänftigen. Doch die mollige ältere Frau, die sonst durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, ließ sich nicht überzeugen. Sie verrichtete die Hausarbeit mit einer Sorgfalt, als sei es das letzte Mal, und tatsächlich kündigte sie umgehend mit der einleuchtenden Begründung, die verbleibenden Tage ihres Lebens wolle sie genießen, Geld dafür habe sie genug und die Außerirdischen hätten wahrscheinlich sowieso keinen Ordnungssinn.
* * *
Clive erlebte unterdessen eine ähnliche Szene mit seiner Haushälterin.
»Aber Mrs Cox!«, redete er auf sie ein. »Was man Ihnen da erzählt hat, ist reine Spekulation. Es ist noch nicht einmal sicher, ob es sich überhaupt um eine Botschaft oder bloß um ein Phänomen natürlichen Ursprungs handelt. Mit einer Invasion oder einem Weltraumkrieg ist gar nicht zu rechnen.«
Doch Clive predigte ebenfalls tauben Ohren. Mrs Cox quittierte unverzüglich den Dienst und lief in Panik hinaus.
* * *
Am darauffolgenden Tag war das halbe Land in Aufruhr. Peggy und Clive begannen zu bereuen, dass sie die Story publiziert hatten, ohne zu bedenken, welchen Einfluss eine solche Geschichte auf die Massen ausübt. Selbst den nur selten in Erscheinung tretenden Chef der XYZ News, Ian Callahan, hatte das verrückte Treiben auf den Plan gerufen. Lauernd wie ein Raubtier saß er hinter seinem Schreibtisch, als er Peggy und Clive empfing, und zu ihrer Überraschung war er völlig nüchtern. Das bedeutete nichts Gutes.
Callahan griff zu einem Glas Mineralwasser und leerte es gierig in einem Zug. »Von jetzt an habe ich das Steuer wieder fest in der Hand«, erklärte er den verwunderten Reportern. »Es ist schon traurig, wie tief diese Zeitung gesunken ist und dass es erst so weit kommen musste, bis ich aus meiner Lethargie erwacht bin!«
Callahan genehmigte sich ein zweites Glas Wasser. Er wirkte besonnen und zu allem entschlossen. Das war furchteinflößend.
»Leute wie Sie stürzen unser Land, wenn nicht die ganze Welt ins Chaos allein durch ihre Naivität, Sensationsgier und Unüberlegtheit. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, was Sie mit diesem Artikel angerichtet haben?« fragte Callahan fassungslos.
»Wir haben die Wahrheit ans Licht gebracht - nicht mehr und nicht weniger.« Clive verteidigte ihr Vorgehen recht gut. »Niemand hat Guy Fox eine Möglichkeit gegeben, an die Öffentlichkeit zu treten. Doch da sind diese Signale! Unsere Regierung behandelt jene wissenschaftliche Entdeckung als Verschlusssache, behindert die Forschung und täuscht so das ganze Volk. Wir finden aber, die Menschheit hat ein Recht auf Information.«
Callahan beeindruckte Cliffords Rede nicht im Mindesten. Er warf sie beide auf der Stelle hinaus.
* * *
Peggy und Clive räumten ihren Schreibtisch und verabschiedeten sich von ihren Kollegen. Anna Ashby, die Seele des Unternehmens, weinte unaufhörlich wegen der ungerechten Reaktion des launischen Chefs und gab ihnen die besten Wünsche mit auf den Weg.
Nun waren Peggy und Clive arbeitslos. Ihr Ruf war ohnehin im Eimer; dies schien das Ende ihrer Karriere zu sein. Sie konnten bloß hoffen, dass an der Story etwas Wahres dran war. So wären sie eines Tages wenigstens rehabilitiert.
»Ich schätze, das war's«, meinte Peggy, als sie das Pressegebäude verlassen hatten.
»Ja, das denke ich auch«, pflichtete Clive ihr bei. »Pass auf dich auf, Peggy! Es kommen sicher wieder bessere Zeiten für uns.«
»Vielleicht hast du ja recht«, warf sie zweifelnd ein. »Nun, Clive, wir sehen uns – irgendwann.«
Zum ersten Mal nach all den Jahren umarmten sie sich freundschaftlich. Dann trennten sich ihre Wege.
* * *
In den folgenden Tagen schwang König Chaos das Zepter und herrschte allenthalben. Verzweiflung, Angst und Hilflosigkeit legten sich über das Land.
Miles Wallace, ein in den Ruhestand getretener Ex-Major, gründete beispielsweise voller Enthusiasmus eine Bürgerwehr. Seit seiner Pensionierung hatte er sich nutzlos gefühlt und Speck angesetzt. Auch jetzt wirkte er nicht gerade wie ein Held, doch durch Überzeugungskraft machte er das wieder wett. Die Leute liefen ihm in Scharen hinterher und rüsteten sich, so gut es ging, zu der entscheidenden Schlacht, von der sie glaubten, sie müsse unbedingt vor ihrer eigenen Haustür stattfinden.
»Wir werden unsere Heimat nicht kampflos hergeben«, lautete Wallace' simple Botschaft, »und wenn wir mit Äxten und Heugabeln gegen die Eindringlinge antreten müssen!«
Die Armee des Landes bereitete sich indessen ebenfalls auf den großen Angriff vor. Soldaten hetzten von einem Manöver zum anderen und wurden ganz auf Krieg gedrillt.
Ken Foster, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, meldete sich fortan mehrmals täglich im Fernsehen zu Wort. Beispielsweise verkündete er: »Die Situation ist ernst, doch nicht aussichtslos. Wenn wir gegen die Fremden vorgehen müssen, haben wir zwar schlechte Karten, aber wir sind hoch motiviert. Wir werden unseren Planeten verteidigen und kämpfen bis zum letzten Mann.«
»Die Armee ist nicht mehr Herr der Lage«, hielt Bürgerwehr-Chef Wallace dagegen. »Auf die Truppe ist heutzutage kein Verlass«, zog er weiter vom Leder. »Wir ergreifen lieber selbst die Initiative.«
»Wir sind dazu ausgebildet, das Volk vor Gefahren zu schützen«, bestritt Foster die Behauptungen seines Erzrivalen. »Leute wie Wallace machen uns nur das Leben schwer. Sie bringen Anarchie über unser Land«, beschuldigte er den Ex-Major. »Wir müssen den Invasoren jedoch geschlossen gegenübertreten, um Einigkeit zu demonstrieren«, appellierte er an das Volk. »Wir werden Sie nicht enttäuschen. Die Menschheit wird alles unbeschadet überstehen.«
Wie man sich aber denken kann, reagiert die Bevölkerung in Zeiten der Verwirrung und Bedrohung oftmals unlogisch – so auch hier. Sie vertraute dem besserwisserischen Bürgerwehr-Boss Miles Wallace wesentlich mehr als Ken Foster, und Wallace war darüber froh, denn nach jahrelangem Nichtstun hatte er jetzt endlich wieder eine wichtige Aufgabe.
* * *
Während Truppen der Bürgerwehr sich in verschiedenen Teilen des Landes heftig mit der Armee anlegten, hatten örtliche Polizeieinheiten alle Hände voll zu tun. Gewalt und Zerstörungswut hielten die Ordnungshüter gehörig auf Trab. Diebe raubten, was nicht niet- und nagelfest war. Hier und da lieferten sich rivalisierende Banden in den Straßen Scharmützel. Und so mancher gewiefte Verbrecher landete in diesem Wirrwarr einen Coup.
Mittlerweile hatte sich das Gerücht von der nahenden Katastrophe in der ganzen Welt verbreitet. Viele, die ihr Leben lang gespart hatten, verpulverten nun ihr gesamtes Vermögen an einem einzigen Tag. Arbeiten zu gehen kam hingegen keinem mehr in den Sinn. So war bereits nach kurzer Zeit das meiste ausverkauft und der Rest geplündert, ohne dass jemand neue Waren heranschaffte. Firmen und Handel, Börse und Banken: alles brach zusammen.
* * *
Die Furcht vor einer Invasion erfasste schließlich einen jeden, und religiöse Eiferer schürten diese Angst. Stellvertretend für die Vielzahl von selbst ernannten Propheten seien hier zwei ältere Damen namens Lindsay Atkins und Kimberly Watson erwähnt, die sich seit über dreißig Jahren abmühten, den Nichtchristen klarzumachen, dass der Weltuntergang nicht mehr fern sei. Jetzt hatten sie endlich den Beweis für ihre These.
»Gott schickt die himmlischen Krieger, um Gericht zu halten über uns sündhafte Menschen«, glaubte Lindsay Atkins.
»Geht hin und tut Buße!«, forderte ihre Mitstreiterin Kimberly Watson die Menge auf. »Bekennt eure Verfehlungen vor dem Herrn!«
Ufo-Kenner setzten der allseits verbreiteten Schwarzmalerei die Hoffnung auf die Lösung aller Probleme entgegen.
»Die Außerirdischen sind gekommen, um uns zu helfen«, ermutigte Clark Fuller die vollends orientierungslosen Bürger. »Sie haben keine Eroberung unserer Welt im Sinn. Wahrscheinlich beobachten sie uns bloß und treten möglicherweise in Kontakt mit uns. Vielleicht werden sie uns nützliche Dinge lehren«, sprühte der junge, aufgeschlossene Visionär vor Ideen.
* * *
Vier Wochen nach Erscheinen des Artikels hatte sich die große Aufregung gelegt und war banger Erwartung gewichen. Die politische Ordnung war in nahezu allen Staaten außer Kontrolle geraten, die Menschheit war kirre vor Furcht und Hoffnungslosigkeit und den Angreifern somit hilflos ausgeliefert. Eine Invasion der Außerirdischen blieb jedoch aus.
Nach und nach kam die wahre Geschichte ans Licht. Man munkelte, es sei wohl alles nur ein Missverständnis und von einer ernsten Bedrohung sei nie die Rede gewesen. Darauf reagierten die Leute schlichtweg entgeistert, denn viele hatten ihre ganzen Ersparnisse verprasst und mussten jetzt wieder bei null anfangen.
Bald aber kehrte die Welt in ihre gewohnte Ordnung zurück. Auch die Wirtschaft erholte sich recht schnell. Letzten Endes meinte der Präsident in Interviews, er habe die Lage ja nie als gefährlich eingestuft und das komme davon, dass man jedem dahergelaufenen Schwätzer mehr Glauben schenke als ihm.
* * *
Clive Clifford hatte die Ereignisse sowohl staunend als auch schuldbewusst verfolgt. Seit seinem Rausschmiss bei der XYZ News fühlte er sich ausgebrannt und leer. Oft fragte er sich, was inzwischen aus der Zeitung geworden war - bis eines Tages das Telefon klingelte.
»Clifford«, meldete sich der Ex-Reporter.
»Hier ist Anna Ashby«, grüßte ihn die Seele des Verlages.
»Wie geht es Ihnen, Mrs Ashby?«, erkundigte sich Clive. »Was macht die XYZ?«
»Mir geht es ganz gut, Mr Clifford, aber der XYZ geht es schlecht. Callahan ist ständig betrunken, seit die Sache mit Fox und den Signalen ausgestanden ist. Hier wird nichts mehr fertig und keiner schreibt eine tolle Story. Der Absatz ist schleppend. Ach, es ist schlimm!«
»Soll ich mal vorbeischauen und nach dem Rechten sehen?«, bot Clive an.
»Das wäre nett!«, freute sich Anna Ashby.
Clive betrachtete dies als Einladung und machte sich flugs auf den Weg in die Redaktion. Dort angekommen, hörte er schon von weitem Ian Callahan volltrunken auf dem Korridor wüten.
»Unfähiges Gesindel!«, wetterte der Chef, mit einem Schluckauf kämpfend. »Hier kann keiner eine - hick! - eine gute Story - hick! - Story schreiben.«
Als Callahan Clive sah, klopfte er ihm auf die Schulter, als sei nie etwas gewesen, und lallte: »Waren das - hick! - waren das noch Zeiten, Clifford! Sie sind - hick! - wirklich klasse.« Dann schob er ihn in sein früheres Büro.
Da saß zu Cliffords Überraschung bereits Peggy an ihrem Schreibtisch.
»Hallo, Clive!«, rief sie fröhlich. »Schön, dass du zurück bist.«
»Hallo!«, erwiderte er verblüfft. »Zurück? Was meinst du damit?«
»Nun, mein Freund, wir haben neue Arbeitsverträge. Mrs Ashby hat sie Callahan untergeschoben und er hat sie im Suff unterzeichnet.«
»Aber das ist doch unlauter!«, staunte Clive.
»Ging bei der XYZ schon mal was einen ordnungsgemäßen Gang?«, entgegnete Peggy fragend.
»Nicht, dass ich wüsste«, meinte Clive stirnrunzelnd und nahm auf seinem alten Stuhl Platz.
»Callahan schien jedenfalls froh darüber zu sein, dass wir wieder hier sind«, stellte Peggy sachlich fest. »Keine Ahnung, ob er sich überhaupt daran erinnert, uns je entlassen zu haben.«
Und Clifford machte sogleich einen Plan: »Wichtig ist nur, dass wir möglichst bald eine heiße Story bringen, um unsere Leser zurückzugewinnen.«
* * *
Der Schluss ist schnell erzählt. Im Leben der meisten Bürger kehrte nach und nach wieder Normalität ein. Auch bei der XYZ News lief alles wie gewohnt. Der Präsident trat zurück wegen des Verlusts seiner Glaubwürdigkeit und mangels Vertrauen in der Wählerschaft. Armeechef Foster erhielt für seine Kriegsvorbereitungen einen Orden, während gegen den Bürgerwehr-Gründer Wallace ein Verfahren wegen Anstiftung zum Putsch eingeleitet wurde. Die religiösen Eiferer Watson und Atkins sind mehr denn je vom Weltuntergang überzeugt und missionieren nach wie vor. Ufo-Forscher Fuller dagegen wartet weiter auf die Ankunft der Außerirdischen und deren Unterstützung bei der Neugestaltung der Welt. Die Wissenschaftler am Observatorium beschäftigen sich wie früher mit der Kartographie des Universums. Und Professor Guy Fox, der geschasste Astrophysiker, schreibt zurzeit ein Buch, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Währenddessen pulsieren unentwegt die noch immer unerforschten Signale durch den Kosmos ...
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